Höhlentaucher wollen in unbekannte Tiefen des Moraig vorstoßen.
Deutsche Taucher suchen Süßwasser
Kreis Marina Alta. (cp) Rätselhaft mündet der unterirdische Süßwasserfluss Moraig zwischen Jávea und Moraira -unter dem Cumbre del Sol - ins Meer. Sein spektakuläres Höhlenlabyrinth forderte bereits drei Menschenleben. Niemand konnte bisher seinen Ursprung finden noch seine Entstehung erklären. Ein deutsches Team machte am 1. Juli einen neuen, nicht ungefährlichen Vorstoß auf der Suche nach Süßwasser. Das Ziel: die von dem vor sieben Jahren im Moraig tödlich verunglückten deutschen Bernhard Pack gesetzte 1.160-Meter-Marke zu überwinden. Der Vorstoß ins unbekannte Dunkel war nicht von Erfolg gekrönt, aber die Höhlentaucher wollen weitermachen, um im Moraig die Lösung des Trinkwasserproblems der Costa Blanca zu finden.
Der Berufssoldat Jens Hilbert (33) aus Peine hält den Weltrekord im Streckentauchen: 55 Kilometer in 19 Stunden und 36 Minuten. Am 1. Juli ist er 560 Meter weit in den Fuß des Cumbre del Sol eingedrungen. Das ist sein Hobby, und es ist laut Statistiken genauso gefährlich wie Formel-1-Fahren und Fallschirmspringen. Wenn er nicht gerade Marathon läuft, taucht Hilbert in tiefe Höhlen. Darüber sagt er: "Man muß sich unter Kontrolle haben, egal, was passiert. Denn der kleinste Fehler kann leicht dein letzter sein. Wenn du bei null Sicht die Führungsleine verlierst, wenn sich Sedimentlawinen lösen, wenn du dich in Seitengängen verirrst, wenn du nicht auf deine Gasvorräte achtest, Gasverlust, Lichtausfall -solche Pannen setzen einen leicht unter Streß. Und beim Höhlentauchen kannst du dann eben nicht einfach auftauchen, sondern musst genau den Weg zurück, den du gekommen bist."
Der Reiz des Neuen
Der speläologische Kick bei der Sache: "Das zu sehen, was noch niemand vor dir gesehen hat",sagt nicht nur Olaf Goetsch (43), Berufstaucher aus Stuttgart. Er hat Schauspielern wie Heiner Lauterbach das Tauchen beigebracht und hält seit 1997 den deutschen Rekord im Luftanhalten unter Wasser: 6 Minuten 32 Sekunden. Bei Hilberts Moraig-Expedition war er Mädchen für alles. Er mischte am 1. Juli das Gas, und das bedurfte Genauigkeit. Um Tiefennarkosesymptome durch Stickstoff zu verhindern, wurde anteilig mit Helium gearbeitet. Und Mischgastaucherei ist bekanntlich eine Sache, bei der alles aufs Prozent genau stimmen muss. Außerdem wich Goetsch während des Tauchgangs nicht von der Seite des Stuttgarter Kameramanns Ekkehard Müller (46). So konnte Müller in Ruhe filmen, während Goetsch den Blick auf dessen Gasreserven hatte. Hilberts Begleiterwar Tauchringgründer und Höhlentauchbuchautor Walter Dold (46) aus Lörrach, Fotos machte Andreas Hilsenbeck (28) aus Freiburg, für die Logistik sorgte die Goldschmiedin Anke Palluch (26) aus München. Die Gruppe hatte sich bereits in Deutschland über den internationalen Tauchring formiert. Während Palluch an Land Transport, Verpflegung und andere unentbehrliche Dinge organisierte, wollten die Männer nur eins: rein in den Moraig und die Quelle dieses unterirdisch durch das verkarstete Kalksteingebirge ins Mittelmeer fließenden Süßwasserstroms zu finden. Einen Vorgeschmack hatte ihnen der Dokumentarfilm von Bernhard Pack gegeben, dem Saarländer, der von 1988 bis 1992 auf der Suche nach Süßwasser über 100mal im Moraig war, der darin als bislang einziger Mensch 1.160 Meter weit in vollkommen unbekannte Reviere vorgedrungen ist und das von ihm betauchte Höhlensystem gründlich vermessen und erforscht hat. Doch reines Süßwasser fand er nicht. Soweit er auch in die Tiefe des Berges vorstieß, der Salzgehalt der entnommenen Wasserproben war mit etwa 1 Prozent weder für den Trinkwasserbedarf noch für Agrarbewässerung geeignet. Der Grund: Meerwasser dringt durch die Höhlenwände ein. Pack starb am 21. September 1992 im Moraig. Die Todesursache ist bis heute unklar. Sein tragisches Ende markierte auch ein Verzögern der weiteren Erforschung des Moraig, der, wenn man den Überlieferungen glauben schenken darf, bereits den Phöniziern um 1000 v. Chr. bekannt war. Für ihre langen Seereisen sollen sie ihr Trinkwasser aus dem ominösen Fluss geschöpft haben.
Wiederentdeckung des Moraig
Eloy Parra, ein Pionier der spanischen Höhlentaucherei, hatte ihn 1974 wiederentdeckt. Nach Packs Tod nahm ein spanisches Team Forschungen im vorderen Höhlenbereich auf. In ganz tiefe Zonen drängt es nun wieder Deutsche. Am 1. Juli brachen sie auf: alles war minutiös vorbereitet, der technische Aufwand enorm. Klar war von Anfang an, dass Dold ein Stück in die Tiefe mittauchen, aber nur Hilbert den großen Vorstoß über die 1.160-Meter-Marke wagen werde, um dann weiter als erster Mensch in unbekannte Bereiche vorzudringen, immer in der Hoffnung, jenseits des Bekannten in den salzfreien Lauf des Moraig einzutauchen. Höhlentauchgänge sind kein Gruppenvergnügen, weder Begleiter bedeutet in engen Höhlenschächten eher eine Gefahr als eine Hilfe. Ohnehin eignen sich für derart extreme physische und psychische Anstrengungen nur sehr wenige Menschen.
Zunächst lief am 1. Juli alles planmäßig. Nach zweistündiger Vorbereitung kamen Hilbert und seine Mittaucher - immer an dem etwa 300 Meter langen Führungsseil des spanischen Forschungsteams entlang - zügig vorwärts: Bei 65 bis 70 Meter sahen sie aus der Höhlenwand Salzwasser ins Süßwasser quellen. An der 160-Meter-Marke passierten sie die Stelle, wo 1982 Juan Jose Palmero verunglückte, nur 40 Meter weiter dann Packs Unfallort. Bei 325 Metern ließen sie die Abzweigung der 1989 von Pack entdeckten und von ihm nach dort gefundenen Krebsarten "Galeria de los Animales" benannten Seitenarm links liegen. Bei der 400-Meter-Marke trennten sich die Aquanauten. Nun waren Hilbert und Dold allein unterwegs und kamen nach 470 Metern an der Stelle vorbei, wo 1982 Vicente Alegre ums Leben kam, weil dieser wahrscheinlich die Orientierung verloren und sich dadurch so tief in die Höhle verirrt hatte.
Labyrinth unter Wasser
Hilbert und Dold stießen auf einen immer größeren Wirrwarr von Leinen, die Pack bei jedem Tauchgang verlegt hatte und die sich nun in der Strömung höchst gefährlich kreuz und quer legten. Sie herauszuschneiden erforderte nicht einkalkulierte Kraft und Atemluft. "Ich war schon auf Reserve. Darum mußte ich bei 560 Meter umkehren. Wenn ich mehr Luft gehabt hätte, wäre ich weiter rein. Ganz sicher." Und Hilbert weiter: "Sicherheit geht vor. Keinen Meter ohne Leine, lautet der oberste Grundsatz. Man muss vor einem weiteren Vorstoß erst alle alten Leinen entfernen und neue verlegen."
Fazit: Den Höhlenabschnitt zwischen der 550- und 560-Meter-Marke haben bislang genau drei Menschen gesehen: die Deutschen Pack, Hilbert und Dold. "Auf dem Mond waren schon mehr Menschen", so Branko Weitzmann vom Tauchring Dénia, Mitorganisator der Expedition. Für alle Beteiligten steht fest: Sie werden möglichst bald zum Fluss im Berg zurückkehren, um ihrem Vorhaben näherzukommen; auf Süßwasser für die Costa Blanca zu stoßen.
Hilbert: "Es war phantastisch und gefährlich. Eine tolle Höhle."
Text: Claudia Peter
Fotos: Andreas Hilsenbeck
"Ohne entsprechende Ausbildung und Ausrüstung ist Höhlentauchen lebensgefährlich", warnt Expeditions-Organisator Branko Weitzmann alle Leser vor allzu leichtsinniger Nachahmung auf eigene Faust.
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